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Warum zieht er sich zurück? Die wahren Gründe für emotionale Distanz in Beziehungen
Kennst du das? Du fragst dich immer wieder: Warum zieht er sich zurück, wenn du mit ihm über eure Beziehung sprechen möchtest? Er blockt ab oder weicht aus – doch warum passiert das? Vielleicht bist du aber auch derjenige, der sich erdrückt fühlt, wenn dein Partner immer wieder nach Nähe verlangt. Dieses Muster aus „Forderung und Rückzug“ ist kein Zufall – es hat mit euren Bindungsmustern zu tun.
In diesem Artikel erfährst du, warum einer von euch sich eher klammernd verhält und der andere eher distanziert ist, was die Wissenschaft dazu sagt und wie ihr gemeinsam aus diesem Kreislauf ausbrechen könnt.
Warum wir in Beziehungen unterschiedlich auf Nähe reagieren
Unsere ersten Bindungserfahrungen prägen, wie wir in engen Beziehungen mit Nähe und Distanz umgehen. Bindungsforscher Mario Mikulincer und Phillip Shaver haben herausgefunden, dass sich Menschen in drei Haupt-Bindungsstile einteilen lassen:
Sicher gebunden: Diese Menschen können Nähe und Autonomie in der Beziehung gut ausbalancieren. Sie fühlen sich wohl mit Intimität und Vertrauen, geraten aber nicht in Panik, wenn der Partner mal Freiraum braucht.
Ängstlich gebunden: Sie haben oft die Sorge, dass der Partner sie nicht genug liebt. Sie neigen dazu, Nähe stark einzufordern, suchen häufig Bestätigung und reagieren sensibel auf emotionale Distanz.
Vermeidend gebunden: Diese Menschen haben früh gelernt, dass emotionale Nähe unsicher oder anstrengend sein kann. Sie ziehen sich oft zurück, vermeiden tiefe Gespräche über Gefühle und betonen Unabhängigkeit.
Der Teufelskreis aus Nähe und Rückzug
Die Kombination von ängstlicher und vermeidender Bindung führt oft zum sogenannten „Protestler-Vermeider-Zyklus“:
Der eine Partner sucht Nähe, stellt viele Fragen („Liebst du mich wirklich?“) und fordert emotionale Verfügbarkeit ein.
Der andere fühlt sich dadurch bedrängt, zieht sich zurück und betont seine Unabhängigkeit.
Das verstärkt die Angst des einen – und den Rückzug des anderen.
Ein Teufelskreis entsteht, der oft in Frust und Missverständnissen endet.
Wichtig: Wenn ein Partner Nähe fordert und der andere sich zurückzieht, entsteht ein Teufelskreis. Je mehr Druck der eine ausübt, desto mehr Distanz schafft der andere.
Was hinter Vermeidung und Forderung steckt
Mikulincer und Shaver fanden heraus, dass diese Muster Schutzstrategien sind, die in der Kindheit entstanden sind:
Ängstlich gebundene Menschen hatten oft Bindungspersonen, die mal verfügbar waren und mal nicht. Sie haben gelernt: „Ich muss mich anstrengen, um Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen.“
Vermeidend gebundene Menschen haben erlebt, dass ihre Bedürfnisse nach Nähe ignoriert oder als „zu viel“ abgetan wurden. Sie haben gelernt: „Es ist sicherer, Gefühle für mich zu behalten.“
Wie euer Gehirn auf Bindungsstress reagiert
In Stresssituationen reagieren sie daher unterschiedlich:
Ängstliche Menschen aktivieren ihr Bindungssystem („Ich muss noch mehr Nähe herstellen!“). Sie reagieren mit erhöhter Amygdala-Aktivität, was verstärkte Angstreaktionen auslöst, wenn sie sich emotional bedroht fühlen.
Vermeidende Menschen deaktivieren ihr Bindungssystem („Ich halte Abstand, dann werde ich nicht verletzt.“). Ihr Gehirn aktiviert die präfrontale Kortex-Kontrolle, um Emotionen zu unterdrücken und Distanz zu schaffen.
Diese unterschiedlichen Reaktionen erklären, warum Streit oder emotionale Distanz in Beziehungen oft eskalieren: Der ängstliche Partner kann sich nicht beruhigen, weil sein Gehirn auf Alarmmodus schaltet, während der vermeidende Partner versucht, durch Rückzug die Kontrolle zu behalten.
Beachte: Unser Gehirn verstärkt unbewusst unsere Bindungsmuster. Während ängstliche Menschen stark emotional reagieren, schalten vermeidende eher auf Distanz.
Männer sind eher Vermeider.
Dass Männer im Durchschnitt eine höhere Vermeidung und geringere Ängstlichkeit in Bindungen zeigen als Frauen, wurde auch wissenschaftlich belegt. Eine Meta-Analyse mit über 66.000 Teilnehmenden zeigt, dass diese Unterschiede je nach Alter und Kultur variieren.
Wie ihr aus dem Nähe-Distanz-Dilemma herauskommt
Die gute Nachricht: Bindungsmuster sind nicht in Stein gemeißelt. Ihr könnt lernen, sicherer zu binden – miteinander. Hier sind drei Ansätze:
1. Erkennt eure Muster
Beobachte dich selbst: Neigst du dazu, Nähe stark einzufordern? Oder bist du derjenige, der sich schnell zurückzieht? Erst wenn ihr eure eigenen Muster versteht, könnt ihr aus ihnen aussteigen.
2. Sprecht über eure Bedürfnisse – ohne Schuldzuweisungen
Statt zu sagen: „Du ziehst dich immer zurück!“, könntest du sagen: „Wenn du dich zurückziehst, fühle ich mich unsicher. Ich brauche Bestätigung.“ Genauso kann der andere sagen: „Wenn du mich drängst, fühle ich mich eingeengt. Ich brauche Zeit, um meine Gefühle zu sortieren.“
3. Baut emotionale Sicherheit auf
Wenn du eher ängstlich bist: Übe, deinen Partner nicht sofort als Bedrohung für eure Beziehung zu sehen, wenn er sich distanziert. Statt Panik zu bekommen, erinnere dich daran, dass Bindung nicht durch Kontrolle entsteht, sondern durch Vertrauen.
Wenn du eher vermeidend bist: Trau dich, über deine Bedürfnisse zu sprechen. Dein Rückzug schützt dich vielleicht kurzfristig, aber langfristig könnte es euch entfremden.
Bindung kann sich verändern, eure Beziehung auch
Du fragst dich immer wieder: Warum zieht er sich zurück? Dieses Nähe-Distanz-Muster ist kein persönlicher Fehler, sondern eine Folge eurer Bindungserfahrungen. Doch ihr könnt lernen, es zu verändern.
Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, schau dir unseren Onlinekurs „Liebe ohne Kampf – Vom Streiten zum Verstehen“ an. Hier erarbeitet ihr gemeinsam eure individuelle Dynamik: Wer übernimmt in eurer Beziehung die Rolle des „Protestierenden“, wer die des „Vermeidenden“? Wie könnt ihr aus diesem Muster ausbrechen und eine sicherere Bindung aufbauen? Hier lernt ihr, wie ihr euch emotional wirklich erreicht.
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Kristina und Marlon Dahlmanns
Praxis für Paartherapie und Mediation
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