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Wir reden aneinander vorbei: Subjektive Wahrnehmung bei Streit
Wir reden aneinander vorbei – die Konfliktsituation des Paares vom Titelfoto ähnelt der auf dem Kippbild unten: Wie man die Sache auch sehen mag – jeder hat recht.
Manche erkennen in der Zeichnung sofort eine junge Frau mit abgewandtem Gesicht, andere sehen eine alte Dame mit Hakennase. Was du darin siehst, hängt davon ab, wie dein Gehirn die Linien interpretiert – auf Basis deiner Erfahrungen, deiner Erwartungen, deiner momentanen Stimmung.
Was hat das mit deiner Beziehung zu tun? Viel.



Wahrnehmung ist keine objektive Wahrheit
In unserer Arbeit als Paartherapeuten begegnen wir einem Streitpunkt besonders häufig: „So war das aber gar nicht!“oder „Du übertreibst total!“ – typische Missverständnisse in Beziehungen, die verletzen, weil sie unsere Wahrnehmung und unsere guten Absichten infrage stellen.
Dabei ist wissenschaftlich längst klar: Unsere Wahrnehmung ist keine objektive Kameraaufnahme. Sie ist ein Konstrukt. Unser Gehirn filtert, interpretiert, ergänzt. Zwei Menschen können exakt dieselbe Situation erleben – und sie völlig unterschiedlich erinnern.
Was du erinnerst, ist kein objektiver Film, sondern dein subjektives Erleben. Und das unterscheidet sich oft stark von dem deines Partners – ohne dass jemand absichtlich die Unwahrheit sagt.
Ein bekanntes Beispiel dafür ist das oben erwähnte Wahrnehmungsbild, das je nach Blickwinkel zwei völlig unterschiedliche Frauen zeigt. Es steht sinnbildlich für das, was in Beziehungen so oft passiert: Du bist überzeugt, es war so – und deine Partnerin sieht es komplett anders.
Aber das bedeutet nicht, dass einer von euch lügt. Es bedeutet nur: Ihr habt beide recht. In eurer eigenen Wahrnehmung.
🎥 Teste deine Wahrnehmung selbst
Wie selektiv unsere Wahrnehmung wirklich ist, kannst du in diesem kurzen Video direkt selbst erleben:
Hier geht’s zum Wahrnehmungstest
Schau es dir aufmerksam an – und lass dich überraschen, was dir auffällt… oder eben nicht.
Ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie stark unser Fokus beeinflusst, was wir wahrnehmen – und was nicht.
Und genau das wirkt sich auch auf die Kommunikation in der Partnerschaft aus.
Was du klar und freundlich meinst, kann bei deinem Gegenüber ganz anders ankommen – einfach, weil die innere „Brille“ eine andere ist. Nicht selten entstehen daraus Konflikte, obwohl niemand etwas Böses wollte.
So wird aus guter Absicht oder einem unbedacht geäußerten Kommentar schnell Streit durch unterschiedliche Sichtweisen – nicht, weil einer im Unrecht ist, sondern weil ihr aneinander vorbeiredet.
Warum Rechthaben nicht weiterhilft
Wenn wir anfangen, über die eine „richtige“ Version der Vergangenheit zu streiten, verlieren wir etwas Entscheidendes: den Kontakt zueinander. Wir entfernen uns von dem, was wirklich wichtig ist – dem Gefühl, gesehen und verstanden zu werden.
Denn letztlich ist nicht entscheidend, wie genau eine Situation objektiv abgelaufen ist. Entscheidend ist, wie es sich für dich angefühlt hat.
Und ob deine Sichtweise Raum bekommt – ohne dass sie sofort mit Gegenargumenten abgeschmettert wird.
Ein Perspektivwechsel, der verbindet
Statt zu fragen: Wer hat recht? könntest du fragen:
- Was hast du in dem Moment gebraucht?
- Was hast du dabei empfunden?
- Was ist bei mir angekommen? Und was vielleicht nicht?
Genau hier liegt der Unterschied zwischen Rechthaben vs. Verstehen. Wirkliche Verbindung entsteht, wir bereit sind, uns gegenseitig zu verstehen, anstatt aneinander vorbeizureden – auch wenn wir unterschiedliche Erinnerungen haben.



Wir reden aneinander vorbei
Wenn du tiefer in das Problem Wir reden aneinander vorbei eintauchen möchtest, empfehlen wir dir unseren Beitrag „Mein Partner versteht mich nicht – und wie du das änderst“ . Darin erfährst du, wie du durch Perspektivwechsel und Methoden wie „The Work“ von Byron Katie festgefahrene Denkmuster hinterfragen und auflösen kannst. Der Artikel bietet praktische Übungen, um die Sichtweise deines Partners besser zu verstehen und Missverständnisse zu reduzieren.
Beziehungsstärke heißt: Verschiedene Wahrheiten aushalten können
Echte Nähe entsteht nicht durch völlige Übereinstimmung – sondern durch das Aushalten und Anerkennen von Unterschieden. Wenn du deinem Gegenüber glauben kannst, auch wenn du es anders erlebt hast, wird deine Beziehung reifer, tiefer, stabiler.
Und genau daran arbeiten wir in der emotionsfokussierten Paartherapie immer wieder: den eigenen Standpunkt nicht aufzugeben – aber trotzdem Platz für den anderen zu lassen und seine Perspektive anzuerkennen.
Fazit
Du musst nicht die Perspektive deines Gegenübers übernehmen – aber du kannst sie gelten lassen.
Und manchmal beginnt Verbindung genau da: In dem Moment, wo du sagst „Aha – du hast es so gesehen. Spannend. Erzähl mir mehr.“
Lust auf ein kleines Experiment?
Wie leicht wir uns von unserer Wahrnehmung täuschen lassen – und was das für Beziehungen bedeutet – zeigen wir auch in unserem Reel:
📱 „Perception is a bitch“ – ein kurzer, augenöffnender Impuls zum Schmunzeln und Nachdenken.
Scanne den QR-Code und schau mal, ob du dich wiedererkennst.



Mehr erfahren?
Kommt ihr euch in eurer Beziehung auch manchmal so vor, als würdet ihr ständig aneinander vorbeireden? Und möchtet ihr lernen, wie ihr euch in eurer Beziehung besser verstehen könnt – trotz unterschiedlicher Sichtweisen?
Dann ist der erste Schritt: Die Perspektive wechseln. Im Alltag – oder gemeinsam mit uns im Onlinekurs „Liebe ohne Kampf – Vom Streiten zum Verstehen“.
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Kristina und Marlon Dahlmanns
Praxis für Paartherapie und Mediation
in Nümbrecht
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