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Wenn wir Gefühle unterdrücken – wie und warum dein Körper dich schützt
Bei unserer Arbeit mit Paaren zeigt sich häufig, dass ein Partner seinen Körper und daher auch seine Gefühle nicht (mehr) richtig spüren kann. Der andere Partner hat dann oft den Eindruck, dass dieser emotional nicht erreichbar ist – obwohl genau diese Verbindung am meisten gebraucht wird.
Wenn du dazu neigst, Gefühle eher zu unterdrücken, erlebst du dich in kritischen Situationen selbst vermutlich innerlich angespannt, leer oder irgendwie abgeschnitten.
Doch was von außen wie emotionale Distanz wirkt, ist oft eine Schutzreaktion, die du irgendwann gelernt hast – um mit schwierigen Gefühlen umzugehen.
In diesem Beitrag erfährst du, warum das passiert – und was dir helfen kann, wieder Zugang zu deinen Gefühlen zu finden. Für dich. Und für mehr Verbindung in deiner Beziehung.
Warum du den Zugang zu deinen Gefühlen verlieren kannst
Vielleicht hast du in deiner Kindheit oder Jugend gelernt, dass bestimmte Gefühle nicht willkommen sind – etwa Wut, Angst oder Traurigkeit. Vielleicht war niemand da, der dir geholfen hat, mit diesen Gefühlen umzugehen. Oder du hast in einer späteren Lebensphase, zum Beispiel innerhalb einer Liebesbeziehung, erfahren, dass bestimmte Emotionen nicht erwünscht waren oder sogar zu Ablehnung geführt haben.
Dann ist es nur logisch, dass dein Nervensystem gelernt hat, dich zu schützen: durch Unterdrückung, Anspannung oder Abschalten. Was früher hilfreich war, um Überforderung zu vermeiden, kann heute dazu führen, dass du dich abgeschnitten von dir selbst fühlst oder dein Partner dich als emotional nicht zugänglich erlebt.
Diese Reaktionen sind kein Fehler. Sie sind der Beweis dafür, wie intelligent dein Körper dich zu schützen versucht hat.
Was passiert, wenn wir Muskelanspannung oder Gefühle unterdrücken?
Emotionale Unterdrückung ist eine Überlebensstrategie. Schon als Kind lernst du, dass manche Gefühle (z. B. Wut, Traurigkeit, Angst) unerwünscht sind – etwa weil du dafür bestraft wurdest oder keine empathische Resonanz bekommen hast. Um trotzdem „geliebt“, „sicher“ oder „funktionstüchtig“ zu bleiben, entwickelt dein System Strategien, diese Gefühle nicht mehr zu spüren. Das geschieht durch:
Verdrängung – bewusst oder unbewusst
Kognitive Kontrolle – „Ist doch gar nicht so schlimm.“
Körperliche Anspannung – damit Gefühle gar nicht erst aufsteigen
Langfristig führt das aber oft zu innerem Druck, Gereiztheit, innerer Leere oder psychosomatischen Beschwerden.
Unser Körper ist ein Resonanzraum für Gefühle. Wenn Emotionen wie Angst, Wut oder Traurigkeit nicht ausgedrückt werden dürfen oder können, bleibt ihre Energie im Körper gespeichert. Das Nervensystem „schaltet um“, um uns zu schützen.
Wie dein Nervensystem Gefühle unterdrückt
Unser Nervensystem prüft unbewusst ständig, ob wir uns gerade sicher fühlen oder nicht. Wenn Sicherheit fehlt, kann es sein, dass wir innerlich unruhig, angespannt, reizbar werden (Aktivierung durch den Sympathikus) – oder wir ziehen uns zurück, fühlen uns leer, taub oder abgeschnitten (Abschalten durch dorsalen Vagusnerv).
Ein weiterer Teil des Gehirns, die Amygdala, reagiert besonders empfindlich auf emotionale Reize. Wenn sie Gefahr wittert, sendet sie sofort Alarm. Das kann auch passieren, wenn uns etwas emotional überfordert – z. B. durch Streit oder Ablehnung.
Unser Stirnhirn versucht, das alles zu steuern: Es hilft uns, nicht in jeder Situation überzureagieren. Aber wenn wir zu oft Gefühle unterdrücken, verlieren wir auch den Kontakt zu unserem Inneren.
Emotionen drücken sich immer auch im Körper aus:
Angst zieht z.B. den Brustkorb zusammen.
Wut kann Schultern und Kiefer anspannen
Trauer bringt ein Gefühle von Schwere oder Leere.
Wenn wir gelernt haben, diese Gefühle nicht zu zeigen, entsteht oft eine chronische Muskelanspannung, die wir irgendwann gar nicht mehr bewusst spüren. Das Gehirn gewöhnt sich an diesen Zustand. Man nennt das auch sensomotorische Amnesie: Der Körper ist angespannt, aber wir nehmen es nicht mehr wahr.
Kurz gesagt: Dein Nervensystem hat gelernt, dich durch Unterdrückung von Gefühlen oder Körperempfindungen zu schützen. Das war früher hilfreich – heute darfst du dich Schritt für Schritt wieder mit dir selbst verbinden und neue Erfahrungen von Sicherheit machen.
Erste Schritte zurück ins Spüren: der Body-Scan
Und genau da setzen die folgenden Übungen an.
Wenn wir Gefühle unterdrücken, ist der Body-Scan eine einfache, aber sehr wirkungsvolle Übung, um wieder in Kontakt mit uns selbst zu kommen. Es geht nicht darum, etwas zu verändern – sondern einfach nur darum, zu spüren, was da ist. Ohne Druck. Ohne Ziel. Nur mit Neugier und Freundlichkeit.
Du trainierst dabei, deinen Körper wieder als fühlenden Raum wahrzunehmen – als Zuhause für deine Empfindungen und Emotionen.



Body-Scan
So geht's:
1) Nimm dir 10–20 Minuten Zeit. Lege dich bequem auf den Rücken oder setze dich mit unterstütztem Rücken hin.
2) Schließe die Augen oder richte den Blick weich auf einen Punkt.
3) Lenke deine Aufmerksamkeit langsam durch deinen Körper:
- Beginne bei den Füßen, nimm wahr: Gibt es Druck? Kribbeln? Kälte? Nichts?
- Wandere weiter zu den Unterschenkeln, Knien, Oberschenkeln ...
- Bis hin zu Bauch, Brust, Schultern, Armen, Händen, Nacken, Gesicht, Kopf.
4) Spüre ohne zu bewerten. Es geht nicht darum, etwas zu ändern, sondern einfach nur wahrzunehmen.
5) Wenn du abschweifst oder merkst, dass du "wegdriftest", dann nimm das kurz wahr und kehre freundlich mit deiner Aufmerksamkeit zurück zu dem Bereich, an dem du gerade warst.
6) Am Ende: Atme bewusst tief ein und aus, bewege dich sanft, öffne die Augen.
Wirkung: Du trainierst, deinen Körper wieder als Heimat für deine Gefühle zu erleben.
Weitere einfache Übungen für den Alltag
1. Mini-Check-in (1 Minute)
Setz dich hin, atme ruhig und frage dich:
- Wie fühlt sich mein Körper gerade an?
- Wo spüre ich Spannung oder Lebendigkeit?
2. Hand auf’s Herz oder den Bauch legen
Eine einfache Berührung kann sofort Sicherheit und Verbindung schaffen.
3. Langsame Bewegung
Heb einen Arm ganz langsam und spüre genau, was sich in Muskeln, Gelenken und Atem bewegt.
4. Spüren statt Denken
Wenn du merkst, du bist nur noch im Kopf:
- Frag dich: Was nehme ich im Körper wahr?
- Was würde meinem Körper jetzt gut tun?
5. Abklopfen oder sanfte Massage
Mit der Hand, einem Tuch oder einem Ball: Beine, Arme, Brust, Gesicht abklopfen oder massieren. Das belebt und bringt dich ins Jetzt.
Du musst nichts "leisten" oder sofort etwas spüren. Es reicht, dass du dich auf den Weg machst. Mit jeder kleinen Übung vermittelst du deinem Nervensystem:
"Ich bin sicher. Ich darf fühlen. Ich darf da sein."
Mehr erfahren?
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